I.2
Chronologie (I, bis 1900):
Zur
Visualisierung (Skizzen der Entwicklungsphasen)
Bis um 1900 vollzieht sich die bauliche
Entwicklung der Teltower Vorstadt fast ausschließlich entlang dreier
Straßenzüge, welche seit Jahrhunderten am sogenannten „Leipziger
Dreieck“ zusammenlaufen: (1) Die Leipziger Straße als Erschließung
der vorwiegend gewerblichen Uferrandbebauung entlang der Havel, (2)
die Saarmunder Straße (heutige Heinrich-Mann-Allee) , damals
noch unvermittelt in den zumeist militärisch genutzten Freiflächen
(Exerzierplätze) der Nuthe-Niederung endend, sowie (3) die dominante
Teltower- oder Mühlenstraße, die sich breit angelegt zwischen
dem Leipziger Dreieck und dem Hakendamm erstreckt und den Beginn der Chaussee
über Zehlendorf nach Berlin, den sogenannten „Königsweg“, kennzeichnet,
über Jahrhunderte die wichtigste Verkehrsader zwischen den beiden
Residenzstädten. Der Hakendamm ist eine Anneinanderreihung mehrerer
Brücken über die Nuthe und von diversen Mühlen gesäumt,
das Leipziger Dreick stellt damals wie heute den wichtigsten Verkehrsknoten
der Teltower Vorstadt dar und erschließt die „Lange Brücke“,
den ältesten Havelübergang Potsdams. Königsstraße
und Hakendamm sind heute als Friedrich-Engels-Straße zusammengefaßt
und bilden u.a. den breiten Bahnhofsvorplatz.
Erst nach 1900 beginnt die Erschließung
weiterer Wohngebiete im Südosten; bis dahin läßt sich die
Entwicklung der Teltower Vorstadt grob in vier Phasen einteilen:
1) Die Zeit der Residenzgründung
unter dem Großen Kurfürsten (spätes 17.) und seinen Nachfolgern
(frühes 18. Jahrhundert) inkl. der städtebaulichen Keimzellen
seit Anfang des 17. Jahrhunderts.
2) Die (besonders umfangreichen) „friderizianischen“
Erweiterungen unter Friedrich II (1740-86).
3a) Die kurze Phase der Revolutions
- und Napoleonischen Kriege (1789-1814).
3b) Erste Hälfte des19.
Jahrhunderts : Frühindustrialisierung mit dem Fixpunkt der Bahnanlage
(1838).
4) Zweite Hälfte des19.
Jahrhunderts : „Hochgründerzeit“ (ein die Entwicklung der Teltower
Vorstadt wenig treffender Begriff).
Dabei läßt sich zusammenfassend feststellen,
daß das 18. Jahrhundert eine teilweise rasante Entwicklung, das 19.
dagegen weitgehende städtebauliche Stagnation bedeutet. Die Entwicklungsphasen
und ihre Hintergründe sollen im folgenen erläutert werden.
(1) Städtebauliche Entwicklung
zur Zeit und vor der Residenzgründung:
Plan
Die Teltower Vorstadt wird nach sämtlichen
Quellen übereinstimmend als die „älteste aller Vorstädte“
1
bezeichnet; damit sind allerdings die tatsächlichen Baumassen sowie
die ursprünglichen Anfänge kaum befriedigend definiert. Nachweisliche
Errichtungsdaten solitärer Gebäude und/oder landwirtschaftlicher
Nutzflächen sowie ein Blick auf die erste Karte (1683) lassen
vermuten, daß die Teltower Vorstadt rund 80 Jahre vor Gründung
der eigentlichen Residenz (um 1660) bestand, wiewohl die weitere
Entwicklung innig mit der Königs- bzw. Militärmacht verbunden
ist.
Der Weinberg von 1589 2
kennzeichnet den Beginn intensiver landwirtschaftlicher Nutzung und
nimmt beinahe den gesamten Brauhausberg ein. Die Nuthe ist noch nicht kanalisiert
aber bereits durch ein frühmittelalterliches Stauwehr (vermutlich
im Bereich des Hakendammes)aus ihrem ursprünglich gewundenen Bett
weitgehend begradigt worden 3.1;
ein halbes Dutzend Mühlen ist entlang des Hakendammes schon im 16.
Jahrhundert nachgewiesen 3.2.
Darüberhinaus werden diverse Manufakturen 4
erwähnt, die - mit unbestimmter Lokalisierung - sicherlich gleichsam
am Havel - oder (energietechnisch wahrscheinlicher) Nuthe-Ufer gelegen
haben; so ist einer der Mühlen auch seit 1678 die Potsdamer Glashütte
(um 1760 nach Drewitz verlegt) zugeordnet 5.
Auf der Karte von 1683 ist die Teltower Straße als dominante Magistrale
bereits in voller Breite, als mehrreihige Allee angelegt (sie wird diese
Struktur über die nächsten 200 Jahre beibehalten), die Saarmunder
Straße erscheint jedoch noch kaum ausgeprägt wie ebenso die
Leipziger Straße am Havelufer eine kurze (unbebaute) Sackgasse bildet
(wohl zur Erschließung des befischten Havelufers). Dafür weist
die Doppelmoräne ein typisch achsiales Wegesystem des Barock zumeist
ohne Berücksichtigung der Topographie auf, das sich bis zur Halbinsel
des Tornow erstreckt; es handelt sich um den „Könglichen Thiergarten“
(=Jagdrevier), der - neben dem Weinberg - die frühe Dominanz naturräumlicher
Standortfaktoren für (Bereiche der) Teltower Vorstadt belegt.
Einzig die Teltower Straße bildet mit ihrer beidseitigen, bereits
dichten Bebauung ein typisches Straßendorf (diese Struktur ist im
folgenden auch entlang der übrigen Straßenzüge zu diagnostizieren)
5b
. Die Sozialstruktur dieser frühen Teltower Vorstadt läßt
sich allerdings nur noch erahnen, es dürfte sich wohl um die Hütten
von Tagelöhnern, Arbeitern, wohl auch Verwaltungsbeamten der betreffenden
landwirtschaftlichen und gewerblichen Betriebe gehandelt haben sowie die
obligatorischen Gasthäuser entlang der Berliner Chaussee. Die Landjägerei
am Nuthe-Übergang wird zwar von Nicolai als über hundert Jahre
alt definiert 6,
jedoch in Plänen ausdrücklich erst im späten 18. Jahrhundert
(1799) bezeichnet (wohl Nachfolger der inzwischen baufälligen Altbauten).
Im Jahre 1688 wird mit dem ersten Packhaus am Fuß des Brauhausberges
die Grundlage für alle weiteren Havelspeicher- und Kaianlagen dieses
im folgenden intensiv gewerblich genutzten Uferrandes gelegt 7.
Das Packhaus (heute: Havelspeicher I) soll bereits seit 1716 als
königliches Brauhaus („Königsbier“) gedient haben, es ist auf
Plänen des späten 18. Jahrhunderts als solches sicher bezeichnet.
Die visuelle Dominanz des Brauhausberges als
Pendent zum eben errichteten Potsdamer Stadtschloß (sowie der funktionelle
Kontext mit dem Thiergarten) wurde von den zeitgenössischen Baumeistern
bald erkannt, so daß - wie oben erwähnt - während der zweiten
Schloßerweiterung (unter Schlüter, Nehring und Grünberg
knapp um 1700) der Brauhausberg für eine monumentale Kaskade (durch
Jean de Bodt) vorgesehen war (ob die Arbeiten jemals begonnen haben, ist
ungewiß) 8
- Vielleicht ist es Ausdruck dieser Dominanz, daß der Stich von C.F.
Feldmann (um 1735) die Achse vom Stadtschloß durchaus idealisiert
auf den Brauhausberg weisen läßt (sie „schießt“ tatsächlich
westlich vobei).
(2) Die Friderizianische Epoche:
Plan
Im frühen und hohen 18. Jahrhundert lassen
sich die Strukturen der Teltower Vorstadt nur aus Stichen („Planbilder“
und Vedouten, 1735 / 1771) erahnen, welche zumeist eine Aussicht vom Brauhausberg
zum Potsdamer Stadtschloß aufweisen, wobei die topographische Genauigkeit
entsprechend fraglich ist. Während die oben erwähnten Siedlungsbereiche
ausgespart bleiben (da nicht von Interesse bzw. bildunwürdig?) finden
sich doch immerhin übereinstimmend die großen Speicheranlagen
am Fuße des Brauhausberges sowie die dominante Verkehrsachse der
Langen Brücke (hier bereits 1735 auch der Obelisk auf dem Leipziger
Dreick, s.u.); der Brauhausberg ist als (unbestimmte) Grünfläche
ausgewiesen.
Friedrich Nicolai bietet im Jahre 1786 im letzten
Lebensjahr des Königs eine genaue Bestandsaufnahme der friderizianischen
Stadtstrukturen für Potsdam und die Vorstädte sowie ähnlich
detaillierte Exkurse in die Vergangenheit (wenn spätere Quellen z.T.
erheblich differente Angaben zu z.B. Häuserzahlen oder Daten aufweisen,
scheint der Vergleich mit den zeitgenössischen Karten Nicolai`s Angaben
zu bestätigen; daß seine Bestandsaufnahme manchmal zu
einer arg positivistischen Auflistung der „königlichen Wohltaten“
wird, soll allerdings nicht unerwähnt bleiben); im selben Jahr erscheint
die Karte „Grundriß der königlichen Residenzstadt Potsdam“ (auf
der Basis derselben von 1778), die endlich verläßliche Details
aufweist.
Bis zum Beginn der Herrschaft Friedrichs II (1740
-1786) scheint sich die Teltower Vorstadt nicht wesentlich weiter entwickelt
zu haben. Unter Friedrich II jedoch entfaltet sich ein regelrechter „Bauboom“
sowie eine rasante wirtschaftliche Entwicklung gerade dieser Vorstadt,
wobei - wie oben erwähnt - in erster Linie merkantilistische
Beweggründe bestehen. Sie umfaßt alle Bereiche der Bau- (Siedlungs
- Gewerbe - und öffentliche Bauten) sowie der „Regionalplanung“ (Infrastruktur
im ganzen Teltow) 9
.
Parallel zum Ausbau der Teltower Vorstadt wird
ab 1742 hart jenseits der Nuthe das Dorf Nowawes 10
für böhmische Emigranten errichet, welche (vorwiegend als
Weber) in den neu angelegten königlichen Manufakturen (Kattun- und
Nadelherstellung) arbeiten; die Entwicklung beider Orte vollzieht sich
gleichsam unter den Standortfaktoren des Königsweges (Infrastruktur),
der diversen Nuthe-Mühlen (Energiezuvor), inmitten umfangreicher Maulbeerplantagen
(seit 1763 Plantage mit 2300 Stück, außerdem hunderte von Straßenbäumen
- Stichwort Rohstoffe) sowie und vor allem unter der Protektion (besser:
Bevormundung) königlicher Manufakturen, unterscheidet sich jedoch
(v.a. im folgenden Jahrhundert) durch die unterschiedlichen Dominanzen
des Siedlungsbaues - so wird das von seiner Gründung an dicht besiedelte
Nowawes im 19. Jahrundert ein typisches Wohnviertel des heranwachsenden
Industrieproletariats bilden 11,
während die Teltower Vorstadt diesbezüglich stagniert (s.u.).
Friedich läßt - eine besonders typische
Maßnahme jener Epoche - die Nuthe kanaliseren 12,
um einerseits die Schiffbarkeit zu erreichen, anderersseits das Altland
vor Überschmemmungen zu bewahren und Neuland zu gewinnen, welches
fortan eine ansehnliche Heuernte aufweisen kann sowie als umfangreiche
Freilandresource dient. Er läßt auch hier mehrere tausend Maulbeerbäume
pflanzen (auf dem Teltow insgesamt 20.000 Stück) 13
, die auf zwei Plantagen verteilt sind - 1763 die als „Große Maulbeerplantage“
bezeichnete Anlage am äußersten Südwestende der Saarmunder
Straße mit rund 1600 Bäumen (gesamtes Areal der heutigen „Waldstadt“)
sowie 1781 (auf dem Gelände des Militärwaisenhauses) eine kleinere
Anlage von rund 1000 Bäumen (Bereich der heutigen Staatskanzlei);
350 Bäume liegen außerdem im privat bewirtschafteten „Rehgarten“
am Hakendamm gegenüber der Landjägerei.
Der „Thiergarten“ scheint nach den zeitgenössischen
Plänen komplett aufgegeben worden, mit neuer funktioneller Wegeführung
den Gewerbebetrieben an der Havelbucht, den Siedlungsbauten zwischen Saarmunder
und Leipziger Straße und sowie den Militärflächen im Süden
geopfert worden zu sein (wohl auch eine Auswirkung der neuen Dominanz desSchloßparkes
von Sanssouci). Landwirschaftlich gesehen stellendie Ränder
derTeltower Vorstadt nunmehr ein idealtypisches Krongut intensiver Nutzung
dar.
Zum Herrschaftsende des Königs weist die
Karte eine zunehmende Straßenrand-, im Zentrum um das Leipziger Dreieck
auch dichte Hinterhausbebauung auf, so daß Nicolais Angaben 14
von 85 Vorderhäusern, die Hinterhäuser
und öffentlichen Gebäude nicht mitgerechnet (!) als authentisch
angenommen werden dürfen (eine spätere Quelle spricht irreführend
von nur 25 Gebäuden! 14a
), so daß die erhebliche Größe und Bedeutung des neuen
Stadtraumes deutlich wird. Die Saarmunder Straße weist inzwischen
bis zu den südlichen Exerzierplätzen eine der Teltower Straße
entsprechende Breite und Struktur (mehrreihige Allee?) auf, ist aber noch
weit davon entfernt, als Hauptstraße der Teltower Vorstadt zu gelten;
die Leipziger Straße ist voll augebaut und dient nunmehr als Verbindung
nach Michendorf sowie als Erschließung der inzwischen zahlreichen
Gewerbebauten am Havelufer. Die Halbinsel des Tornow ist durch den Komplex
der Englischen oder Itzigschen Lohgerberei gleichsam in das Stadtgebiet
einbezogen. Leider läßt sich für die meisten Wohnviertel
auch in dieser Phase die Sozialstruktur nicht mehr feststellen, doch dürften
es - neben den sechs von Nicolai erwähnten Gasthäusern wiederum
vornehmlich Häuser von Handwerkern und Tagelöhnern einerseits,
einer zunehmenden Zahl mehr oder weniger wohlhabender Staatsbeamten
andererseits gewesen sein, wenn man die königliche „Bauwut“ jener
Jahrzehnte, die unmittelbar ansässigen Unternehmen sowie und vor allem
die umfassende militärische und zivile Verwaltung zugrundelegt; Einquartierung
von Soldaten war außerdem die Regel 15.
Am nordöstlichen Hang des Brauhausberges,
wohl auf dem Gebiet der ehemaligen Weingärten, wurde 1751/52 mit den
Häusern für Bauhandwerker (Zimmerer und Maurer) 16
die größte geschlossene Siedlung dieser Epoche angelegt, die
bis Ende des 19. Jahhrunderts (vergleiche Karten um 1860) das herausragendste
städtebauliche Ensemble bildeten. Es handelte sich (1751) um 19 Reihenhäuser
an der Schützenstraße (heute unbebaute Max-Planck-Straße)
sowie 20 Häuser (nach späteren Quellen als „10 Doppelhäuser“
definiert) als nordwestliche Zeilenbebauung der Saarmunder Straße
(1752); die Gebäude waren eingeschossig und massiv ausgeführt.
Beide Ensemble sind durch die Brauhausbergterrassen (Schwimmbad und Restaurant
Minsk) bzw. (gründerzeitliche?) Folgebauten an der Heinrich-Mann-Allee
komplett verschwunden. Die Anlage der Siedlung dürfte weniger
aus sozialen Beweggründen als vielmehr zur Deckung des enormen Arbeiterbedarfes
auf den diversen Baustellen der Residenz erfolgt sein.
Am Havelufer wurden diverse neue Gewerbebetriebe
errichtet, wobei die „Englische Lohgerberei“, eine arbeitsintensive Textil-Manufaktur
(auch in den Folgejahren) der größte Baukomplex ist sowie einen
idealtypischen merkantilistischen „Werdegang“ aufweist 17.
Aus der Konkursmasse eines englischen Unternehmers durch den König
gekauft, mit reichen Investitionen versehen, wurde 1767 der Neubau am Havelufer
im Winkel des Tornow errichet - wohl um das Potsdamer Stadt- bzw. Wassergebiet
von Emissionen der Lederverarbeitung freizuhalten. Die Manufaktur wurde
(zwecks weiterer Investitionen und qualifizierter Leitung?) dem reichen
Unternehmer Itzig, einem der wenigen priviligierten „Hofjuden“ aus Berlin
geschenkt, was die späteren Bezeichnungen „Itzigsche Lohgerberei“
und „Judengraben“ (Trennung des Tornow vom Festland) erklärt. Es sei
hinzugefügt, daß die Textilverarbeitung in ganz Potsdam dominierte,
nicht zuletzt um den enormen Bedarf an Uniformen dieses so kriegerischen
Monarchen zu decken!).
Das größte Bauprojekt der öffentlichen
und militärischen Verwaltung stellt das „Große Lazarett“ 18
des (im Potsdamer Stadtgebiet befindlichen) Militärwaisenhauses dar,
das 1769 im Zwickel zwischen Saarmunder und Teltower Straße errichtet
wurde und 1781 eine große Maulbeerplantage erhielt (Areal der
späteren Kadettenanstalt und heutigen Staatskanzlei). Es gelingt Nicolai
nicht, die beklagenswerten Zustände diesesWaisenhauses 19
zu beschönigen, welches ein frühkapitalistisches Ausbeuterunternehmen
par excellance war, in welchem die Zöglinge unter sozialen Vorwänden
(und unter der Protektion des Königs!) zu regelrechter Sklavenarbeit
an landwirtschaftliche und gewerbliche Betriebe vermietet wurden (die Überlebenden
konnten später mit einem „sicheren“ Auskommen in des Königs Armee
rechnen) - so daß enorme Krankenbestände von zugleich mehreren
hundert Personen (!) einen entsprechend großen Gebäudekomplex
und Freiflächen zur Versorgung erforderten, welche in der Teltower
Vorstadt ausreichend zur Verfügung standen.
Nicolai erwähnt weitere öffentliche
Neubauten 20
, so die beiden Pulverhäuser (eines nahe der Landjägerei,
eines am Fuße des Telegraphenberges, das - um ein weiteres Blockhaus
vermehrt - auch Mitte der 19. Jahrhunderts noch aufzufinden ist), zwei
große „Fouragemagazine“ der königlichen Stallungen (wohl auch
im Zwickel gelegen) sowie die Neubauten der Landjägerei (s.o.) am
Hakendamm. Es wird der Bestand von fünf Mühlen (zwei Mahl-, eine
Schneide-, eine Loh- und eine Walkmühle) angegeben, die wohl aber
keine Neubauten darstellen (die Glashütte von 1678 ist bereits verlegt
worden, s.o.).
Unklar ist die Datierung des als Meilenstein
dienenden Obelisken 21
auf dem Leipziger Dreieck, der einerseits ein Pendent aus friderizianischer
Zeit (1748) im Eingangsbereich des Schloßparkes von Sanssouci hat,
andererseits auf dem Stich von C.F. Feldmann (1735) bereits besteht.
(3a, 3b) Jahrhundertwende und
erste Hälfte des 19. Jahrhunderts:
Plan
Wohl bedingt durch allgemeine historische Umstände
einerseits und spezifische Standortfaktoren andererseits tritt nach der
friderizianischen Epoche eine weitgehend Stagnation der städtebaulichen
Entwicklung ein, wobei insbesondere der Siedlungs- wie der Gewerbebau keinen
frischen Impuls erhält. Pläne von 1797, 1798, 1800, 1803 und
darüberhinaus (bis 1860) weisen beinahe keine Veränderungen auf.
Das mag zu einem guten Teil aus der gesamteuropäischen politschen
und wirschaftlichen Situation des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts
resultieren (Einschätzung des Verfassers), da die „prosperierende“
Epoche der Jahrhundertmitte - gerade auch auf der Basis von Gewinnen im
Gefolge diverser Kriege, v.a. des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges
- in ganz Europa durch eine große Depression abgelöst wurde
22;
dem folgten sogleich die Wirren der Französischen Revolution und der
Napoleonischen Kriege - gerade für Preussen verlustreich bis zum staatlichen
Zusammenbruch 23.
Es zieht sich für die Teltower Vorstadt die Stagnation im Wohn- und
Gewerbebau allerdings durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch, so daß
die Ursachen v.a. für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts
eher in den spezifischen Standortfaktoren, der zeitgenössischen
Sozialstruktur bzw. gesellschaftlichen Veränderungen gesucht werden
müssen (s.u.).
Die grobe Struktur der Siedlungsbauten entlang
der Magistralen sowie der Gewerbebetriebe am Hakendamm bzw. in der Havelbucht
verbleiben praktisch unverändert über 100 Jahre. Es werden zu
jeder Zeit einzelne Wohn- und Gewerbeeinheiten durch Neubauten ersetzt
worden sein; auch finden sich v.a. im Zentrum Verdichtungen durch Hinterhäuser
(demgegenüber scheinen die rückwärtigen Zeilen der friderizianischen
Maurerhäuser an der Saarmunder Straße im späten 19. Jahhrundert
abgebrochen worden zu sein) bzw. zunehmende Auslastung der Gewerbegrundstücke
an der Nuthe (nördlich des Eisenbahngeländes) und an der Havel
bis zum Tornow. Diese Entwicklung läßt sich allerdings als chronische
und langsame Veränderung im Einzelnen kaum nachvollziehen oder datieren.
Immerhin kann die weitere Stadtentwicklung durch
einige Solitärbauten und dominante Freiflächen anhand des (nunmehr
umfangreichen) Kartenwerkes sowie nachweislicher Datierungen im folgenden
grob abgesteckt werden:
Im Jahre 1796 führen die unhaltbaren hygienischen
Zustände auf dem Potsdamer Stadtfriedhof (Überbelegung und Geruchsbelästigung)
zur raschen Anlage des sogenannten Alten Friedhofes 24
auf der Gartenfläche des Beyer`schen Mustergutes sowie einem Abschnitt
des Exerzierplatzes östlich der Saarmunder Straße; Bestattungen
wurden noch im selben Jahr vorgenommen. 1797 folgt eine erste Umfriedung
mit (nicht mehr vorhandener) Toranlage. 1851 wird die heute noch erhaltene
Leichenhalle mit Trauerkapelle und Dienstwohnung durch den Schinkelschüler
Ferdinand von Arnim im spätklassizistischen Stil aufgeführt.
Die Maulbeerplantage auf dem großen Freigelände
des Lazarettes besteht offenbar noch einige Jahrzehnte (nur auf dem Plan
von 1798 finden sich an dieser Stelle neue Zeilenbauten; es ist von einem
Fehler oder einem nicht ausgeführten Bauprojekt auszugehen), erscheint
aber auf Plänen um 1830 nunmehr als in eine Gartenanlage umgewandelt;
in den 1860er Jahren wird der Restgarten endgültig durch Erweiterungen
der (inzwischen:) Kadettenanstalt überbaut, die nunmehr direkt an
den Alten Friedhof grenzt.
Die Große Maulbeerplantage findet man in
Plänen noch um 1800 bezeichnet, verliert sich aber im weiteren im
einfachen Gehölz des Telegraphenberges.
Im Süden der Teltower Vorstadt sind während
des ganzen 19. Jahrhunderts umfangreiche Exerzierflächen (in der Nuthe-Niederung
hart südlich des Alten Friedhofes), Schießplätze (am Südhang
des Telegraphenberges) sowie (militärische) Sportplatz - Anlagen im
Tal zwischen Telegraphen- und Brauhausberg angeordnet, die nach den meisten
Karten über gut 100 Jahre beinahe unverändert bestehen und den
südlichen Abschluß des Potsdamer Stadtgebietes bis um 1900 kennzeichnen.
1803 wird unter Friedrich Wilhelm III für
seine Königin Luise das Belvedere 25
auf dem Brauhausberg (als überhaupt erst zweites seiner Art
nach dem friderizianischen Klausberg-Belvedere über Sanssouci) errichtet,
welches in seiner topographischen Markanz einen wichtigen Impuls für
die Bewußtwerdung des Gesamtensembles aus Stadt- und Landschaftsraum
bildete bzw. den „Verschönerungsplan“ von Lenné (1833)
zu einem Gutteil mit begründete 26;
die letzten Fragmente wurden 1958 abgetragen (die Kriegsschule von 1899/1901
hatte schon längst bedrängend gewirkt).
Einen zweiten Impuls für den Verschönerungsplan,
vielleicht den ausschlaggebenden Katalysator, liefert 1832 die vierte Station
der Telegraphenlinie Berlin-Koblenz (1832-1863) mit dem optischen
Anzeiger 27 auf
dem (nunmehr so benannten) „Telegraphenberg“ - Hier wird Wissenschaft
bzw. technischer Fortschritt einerseits noch als romantisches Erlebnis,
als Kuriosum bestaunt und dient andererseits ein Katalysator für weitergehende
Überlegungen: Der optische Zeiger mag als „Icon“ für das
im folgenden mit Vehemenz ausgeführte System der Markpunkte und Blickachsen
(s.o: Naturräumliche Einbindung) gewirkt haben 28
- so daß in den folgenden Jahren
in einem regelrechten „Bauboom“ ein gutes Dutzend von Belvederes
auf den Höhen der Potsdamer Peripherie (z.B. Pfingstberg) wie Fixpunkte
in der Ebene und am Wasser (z.B. Kirche von Sacrow) in die Höhe
schießen.
Eine dieser Maßnahmen zur Errichtung von
(heute hieße es:) „Eye-catchern“ stellt auch und gerade der Umbau
des alten Packhauses von 1688 durch Persius in den Jahren 1843/44 dar,
der nunmehr als pseudo-mittelalterliches Havelschloß wirkt; bereits
zuvor waren südlich der sogenannte Speicher III durch Karl Hampel
unter Mitwirkung von Schinkel (1834/35, Dach 1843) sowie 1829 gegenüberliegend,
auf der Bergseite der Leipziger Straße die Brauerei („Potsdamer Stangenbier“)errichtet
worden, welche dem Brauhausberg fortan ihren Namen geben sollte 29;
am Fuße des Berges befand sich nun ein intensiv genutztes wirtschaftliches
Ensemble, das in seiner historisierenden und romantischen Architektursprache
gleichwohl als „bildwürdig“ erschien (s.o.) 30
.
Ein Chaussee- bzw. Zollhaus an der Ecke Templiner/Michendorfer
Straße wird zwar in 1805 datiert, findet sich jedoch bereits
auf Plänen des späten 18. Jahrhunderts (vielleicht ein Vorgängerbau?)
31.
1838 wird die erste preussische Eisenbahnlinie
zwischen Potsdam und Berlin geschlossen und in der Teltower Vorstadt mit
einem großen Bahnhof vor dem Leipziger Dreieck versehen, welcher
in direkter Kontinuität der historischen Verkehrsdominanz zu verstehen
ist. Daß die Bahngleise aus heutiger Sicht rücksichtlos über
die Insel Potsdam weitergeführt wurden und dabei gar die Uferkante
des Stadtschlosses gegen die Havel abschnitt zeigt, welche Beweggründe
die Planer - unter ihnen der eisenbahnbegeisterte und „romantische“ König
Friedrich Wilhelm IV - in erster Linie leitete - es standen (in der Anfangsphase)
keine wirtschaftlichen Interessen im Vordergrund, sondern vielmehr der
Gedanke, auch die Bahntrasse in das „akkadische Gesamtensemble“ zu integrieren;
dabei stellte die Bahn einerseits ein Kuriosum (vergleiche: Optischer Telegraph)
dar, wie andererseits die Fahrgäste (in zumeist noch offenen Wagen)
die Landschaft genießen sollten, so daß sich eine Gleisführung
entsprechend der Sichtachsen anbot 32
.
Wirtschaftliche Impulse ergaben sich aus dem
Bahngelände zumindest für die Teltower Vorstadt nur im geringen
Maße - So weisen die Pläne der folgenden Jahre (1848, 1860),
ja noch in der Hoch - und Spätgründerzeit (1886) - mit Ausnahme
einiger integrierter Werkstattbetriebe - beinahe keine neuen Gewerbeflächen
auf, wie ebenso der Siedlungsbau bis 1900 komplett stagniert.
(4) Zweite Hälfte des
19. Jahrhunderts:
Plan
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
finden sich, v.a. nach der Reichsgründung, umfangreiche Baumaßnahmen
solitärer Großbauten der preussischen bzw. später
kaiserlich-deutschen zivilen und militärischen Verwaltung sowie -
auf den ersten Blick ungewöhnlich anmutend - großzügige
Ensemble für die Wissenschaft.
Der Kontrast zwischen der öffentlichen Bauwut
auf der einen, der weitgehenden Stagnation von Gewerbe- und Siedlungsbauten
auf der anderen Seite ergibt sich nunmehr zwangsläufig aus den spezifischen
Standortfaktoren der Teltower Vorstadt sowie der sozialökonomischen
Struktur der Stadt Potsdam an sich 33
. Potsdam entwickelt sich im 19. Jahrhundert zu einer reinen Residenz-,
Garnisions- und Verwaltungmetropole, wobei die Wirtschaftsgewalt aus den
Händen des absoluten Monarchen zum Besitzbürgertum übergleitet.
Die Dominanz der Staatsführung liegt nun in der zivilen und militärischen
Verwaltung, nicht mehr aber in der Vorhaltung merkantilistischer Manufakturen
bzw. der zugehörigen eng verzahnten Rahmenfaktoren (Infrastruktur);
entsprechend groß ist das Kontingent an Staatsbeamten vorwiegend
gehobener Gesellschaftsschichten. Eine Ausbau weiterer Gewerbetriebe ist
somit (in ganz Potsdam) gleichsam unvorteilhaft (die Standorte verlagern
sich nun an die Großstadtränder, da neue Energie- und Verkehrswege
erschlossen wurden, der alte Landvorteil wirkt nicht mehr) wie durch die
Anwohner (zumal die romantisierende und reaktionäre Hofgesellschaft)
unerwünscht - eine massive Ansiedlung von Industrieproletariat entsprechend
ausgeschlossen 34
. Es präferiert die Beamtenschaft andererseits als Wohngebiete
vorwiegend diejenigen Vorstädte, welche im vergangenen Jahrhundert
nicht industrialisiert wurden und nunmehr eine Villenstruktur aufweisen,
so daß sich die Teltower Vorstadt in einem doppelten Dilemma befindet:
Sie fällt sowohl aus wirtschaftlicher Sicht wie aus Gründen der
Wohnqualität für eine weitere Ansiedlung von Gewerbe- oder Wohnflächen
ganz oder teilweise aus. Es können jedoch demgegenüber die verbliebenen
großzügigen Freiraumresourcen nunmehr durch staatliche Großbauten,
kommunale Sonderflächen bzw. (unverändert) für Militärzwecke
genutzt werden.
1861 wird durch die Stadt ein Gelände am
Osthang des Telegraphenberges zur Anlage des späteren „Neuen Friedhofes“
erworben und ab 1863 (nach Entwürfen von Lenné) eingerichtet;
1866 erfolgt die erste Belegung 35.
Auf der Karte von 1887 findet sich zum ersten
Mal der Name „Wilhelmsstift“ für ein frei liegendes Bauensemble an
der Saarmunder Straße im Gelände des ehemaligen Exerzierplatzes.
Bereits in den 6oer Jahren liegen hier mehrere pavillonartige Gebäude
unklarer (militärischen oder gewerblichen?) Nutzung, die - mit einigen
Neubauten versehen - im Jahre 1876 als „Kaffeehaus“ verzeichnet sind (gewerblicher
Betrieb?). Das Wilhelmsstift, ein Kranken- bzw. Siechenhaus für Bedürftige(?),
wird in den folgenden Jahrzehnten chronisch mit Neubauten versehen und
bildet ein großflächiges Anstaltsgelände (heute Behördenzentrum).
1899 bis 1902 wird auf der Kuppe des Brauhausberges,
hart östlich des noch bestehenden Belvederes, die Kriegsschule (später
Reichsarchiv, SED-Zentrale, heute Landtag), auf Veranlassung des anglophilen
Kaisers Wilhelm II im „englischen Cottagestil“, angelegt, als ein typisch
massiger Markpunkt der späten Gründerzeit wohl zu solitär
wirksam um noch als Teil des „Gesamtbildes“ zu gelten 36.
Urzelle einer intensiven Entwicklung auf dem
Telegraphenberg 37
zum heutigen „Wissenschaftspark Albert Eistein“ war der oben erwähnte
optische Zeiger von 1832. Auf Veranlassung der Kaiser Wilhelm I und Wilhelm
II wurden im späten 19. Jahrhundert diverse naturwissenschaftliche
Institute neu errichtet und/oder aus Berlin ausgelagert, wo die Luftverschmutzung
eine akzeptable Beobachtung der Gestirne nicht mehr zuließ.
So entstanden rasch aufeinander (1875/79) die Sonnenwarte (T-förmiges
Gebäude mit drei Kuppeln) als erstes Astrophysikalisches Institut
der Welt, (1892) das Geodätische und Meteorologische Institut und
1899 der große Refraktor (Kuppelbau mit Riesenfernrohr), die
noch heute die markanten Großbauten des Geländes stellen; um
die Jahrhundertwende wurden auch die Wohnhäuser der Astronomen errichet.
Die Stagnation des Siedlungsbaues ist auch und
gerade auf die veränderte Bauwirtschaft 38
im 19. Jahrhundert zurückzuführen, wobei die Wohnbauten nicht
mehr zentralistisch durch königliche Erlasse und noch nicht durch
Bauvereine ausgeführt wurden, sondern durch private Investoren,
welche sich durch die Standortfaktoren der Teltower Vorstadt wenig verlockt
fühlten. Erst Ende des 19. Jahrhunderts bilden sich - im Gefolge der
zunehmenden „Sozialen Frage“ - Arbeiterbauvereine und Genossenschaften,
welche die großen Siedlungsprojekte des beginnenden 20. Jahrhunderts
ausführen werden - die auch und gerade die Stadtentwicklung der Teltower
Vorstadt im weiteren prägen.
(Überleitung Chronologie II, NN)
Das erste und einzige Projekt dieser Art im 19.
Jahrhundert ist die Siedlung „Daheim“ 39
des „Bau- und Sparvereins für Eisenbahnbedienstete“, die nordöstlich
des Alten Friedhofes von 1892 bis 1909 in mehreren Bauphasen aufgeführt
wird und in ihrer Pavillon- und Klinkerbauweise städtebaulich
wie architektonisch den typischen preussischen Krankenanstalten jener Zeit
entspricht.
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